Lade Veranstaltungen

Gott als »das Wort meines Umgetriebenseins«

Die erste Hälfte seines Berufslebens arbeitete Herbert Braun als Pfarrer, die zweite Hälfte als Professor für Neues Testament an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz:

»An dieser Stelle wäre ja nun auch einziges zu vermerken zu meiner Tätigkeit als Pfarrer, die ich an die 17 Jahre lang ausübte; zunächst auf dem Lande, in Ostpreußen und in der Altmark, zum Schluß noch zwei Jahre lang in der Großstadt. […] Die Verwaltungsarbeit war mir eine Last und die Vereinsmeierei ein Greuel. Und doch war ich gern Pfarrer. Der Struktur des schlichten Landmenschen wurde ich zwar ganz sicher nicht gerecht; von der Reife der Einfachheit war ich noch viel zu weit entfernt, um den Menschen das zu sein und zu geben, was nötig gewesen wäre. Gewiß, ehrlich versuchte ich zu sein in meiner theologischen Auswahl-Einstellung, die nicht bereit war, jene Teile der Tradition weiterzugeben, die ich mir nicht anzueignen vermochte. […]

Das Beste und Positivste in meiner Amtsführung scheinen mir heute die unscheinbaren stillen Stunden zu sein, wo ich bei leidenden und sterbenden Menschen neben ihrem Bett saß. Die großen geistlichen Worte verflogen dann. Oft waren es ganz unscheinbare Dinge, mit deren Aussprechen ich den Menschen helfen konnte […] Daß Theologie, ins Geschäft gebracht, Dienst am schlichten, oft leidenden Menschen ist, erfuhr ich in jenen Jahren hier und da praktisch, ohne damals schon die später formulierten Konsequenzen aussprechen zu können. […]

Zumal die letzten Pfarramtsjahre in der Großstadt brachten mir ausgesprochene Befriedigung. Ich wurde immer zurückhaltender in Aussagen, die ich früher mit selbstverständlicher Sicherheit getan hatte.«

Diese Tendenz setzte sich in seiner Lehrtätigkeit fort. Ein veröffentlichter Aufsatz sorgte schließlich für große Kontroversen um Brauns theologische Überzeugung. Er erfuhr, so schreibt er, sogar »Empörung und Haß«. Grund dafür waren seine Ausführungen darüber, was im Sinne des Neuen Testament unter »Gott« zu verstehen sei:

»Das Neue Testament birgt in sich disparate Vorstellungen. […] Diese Disparatheiten verweisen ihrerseits auf eine noch tiefer liegende Problematik innerhalb der neutestamentlichen Aussagen: Gott als dinglich gegeben und Gott als nicht-dinglich und nicht-gegeben. Was ist letztlich im Sinne des Neuen Testaments Gott? […] Jedenfalls [erscheint Gott] nicht als der für sich Existierende, nicht als eine Spezies […] Gott heißt dann vielmehr das Woher meines Umgetriebenseins. Mein Umgetriebensein aber ist bestimmt durch das ›Ich darf‹ und ›Ich soll‹; bestimmt durch Geborgensein und durch Pflicht. Geborgensein und Pflicht aber kommt mir nicht zu aus dem Weltall, sondern vom Anderen her, vom Mitmenschen. […] Das hieße dann aber: der Mensch als Mensch, der Mensch in seiner Mitmenschlichkeit, impliziert Gott. Vom Neuen Testament her wäre das immer neu aufzudecken. Gott wäre dann eine bestimmte Art der Mitmenschlichkeit.«

Den theologisch streitbaren Positionen Brauns widmen wir uns an diesem letzten Abend der Reihe.

 

 

Teilen Sie diese Information mit anderen!